Best Practice - Behindertensport und Inklusion im Sportschießen

In unserem ersten Interview haben wir uns mit dem ehemaligen Nationalkaderathleten Leo Rupp unterhalten.

Sport Wettkampf 2Unser Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit im Westfälischen Schützenbund, Philipp Schulz, hat für die Mitglieder des WSB ein Interview mit dem ehemaligen Nationalkaderathleten Leo Rupp geführt. Mit Leo Rupp beginnen wir im Westfälischen Schützenbund eine Reihe von „Best Practice“-Beispielen an denen die Vereine und Mitglieder der Vereine sehen, dass Behindertensport und Inklusion im Sportschießen an sich gut zu meistern sind. Auch wenn Leo Rupp selbst kein WSB Sportler ist, so gibt er uns als ehemaliger Nationalkaderathlet einen sehr guten ersten Einblick in den Bereich des Behindertensports. 

 

Hallo Leo, danke dass du dir die Zeit nimmst, dich mit mir über das Thema Behindertensport und Inklusion im Sportschießen zu unterhalten. Aber zuerst einmal wie geht es dir in Zeiten von Corona?

Hi, kein Problem, ich freue mich meinen – unseren – Sport den Mitgliedern in den Vereinen näher bringen zu können. Mit geht es gut, aktuell habe ich Urlaub. Davor war es auf der Arbeit den Umständen entsprechend anstrengend, aber das nimmt man gerne hin, wenn einem der Job Spaß macht.

Ich muss sagen, ich bin ein wenig beeindruckt. Du bist Anästhesist an der Charité in Berlin. Da habt ihr mit Sicherheit viel zu tun gehabt in den letzten Wochen und Monaten. Vielleicht kannst du uns vorab ein wenig erzählen, was du vor deiner Zeit in Berlin gemacht hast und wie du überhaupt zum Sportschießen gekommen bist.

Klar, das kann ich gerne machen. Vorab sollte man wissen, dass ich selbst im Rolli (Rollstuhl) sitze. Angefangen hat alles sehr klischeehaft auf dem Jahrmarkt in Albersdorf in Schleswig-Holstein. Dort bin ich aufgewachsen. Dort konnte man auf Luftballons schießen und ich habe das einfach mal gemacht. Glücklicherweise war zu dem Zeitpunkt auch der 1. Vorsitzende des Vereins vor Ort, der mich und meine Eltern direkt angesprochen hatte, ob ich nicht mal vorbei kommen möchte. Da ich - wie gesagt - im Rolli sitze, gab es für mich als Elfjährigen in einem 4.000 Einwohnerdorf nicht viele Möglichkeiten. Wir hatten eine Feuerwehr, einen Fußballverein und einen Schützenverein. Über diese Möglichkeit habe ich mich gefreut. Gesagt getan. Ich bin mit meinen Eltern in den Schützenverein und habe dort meine ersten Schritte gemacht – und das meine ich im bildlichen Sinn, auf das Sportschießen bezogen.

Sport Wettkampf 3Da muss ich doch nochmal kurz nachhaken. Du bist auf dem Jahrmarkt angesprochen worden und dann direkt zum Schützenverein, aber hatte der Verein damals alle Voraussetzungen, dass du dort richtig trainieren konntest?

Ach, auf gar keinen Fall. Das Vereinsheim war direkt hinter einer Wirtschaft. Die Brüstung war für mich viel zu hoch, das Gewehr hat nicht gepasst und viele andere Faktoren hätten auch dafür gesprochen, das Experiment an dieser Stelle abzubrechen. Aber, und das ist etwas, was ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen möchte, durch die Kreativität und den Einsatz des damaligen Heimtrainers und der Unterstützung des Vereins haben wir uns gemeinsam an das Behindertenschießen herangetastet. Ich sage selbst immer „Vom Barhocker zu den Paralympics“. Und genauso war es auch. Ich habe angefangen zu schießen, indem ich auf einem Barhocker gesessen habe und ein nicht für mich passendes Gewehr zur Verfügung hatte. Mein Heimtrainer hat sich von Training zu Training Neues einfallen lassen, um mir das Schießen weiter zu erleichtern. Das Luftgewehr wurde gekürzt, er hat sich immer wieder Rat in Büchern geholt und belesen und letzten Endes haben wir den ursprünglichen Barhocker nach und nach modifiziert und verbessert.

Und wohin führte dich dein Weg als Schütze dann weiter?

Zu allererst fuhren wir mit unserem Trainer auf alle Pokalschießen, auf die es nur ging. Mein Schützenkreis hat es ermöglicht, dass ich in der Auflageklasse (ich musste so oder so aufgelegt schießen) mitschießen durfte. Schon damals also ein großer Schritt in Richtung Inklusion. Und in der Folge ging es dann zu meinen ersten Landesmeisterschaften. Damals wusste ich noch nichts davon, dass es zwei parallel laufende Verbände für das Schießen mit Behinderung gibt. Zum einen die Wettbewerbe des DSB und zum anderen die Wettbewerbe des Deutschen Behindertensportverbands, kurz DBS. Um bei meiner sportlichen Karriere zu bleiben durfte ich, nachdem ich 5-6 Mal in der Woche trainiert habe, im nächsten Jahr dann zu den Deutschen Meisterschaften. Ein wahres Highlight in meiner Karriere als Sportler und vor allem lernte ich dort auch den DBS kennen. Der Verband war mit einem Informationsstand auf der Deutschen Meisterschaft immer vertreten. Heute muss ich gestehen, leider nicht mehr. Aber dazu später mehr. Irgendwann schaffte ich den Sprung in den Nationalkader, da wurde dann alles professioneller. Ich hatte Hightech-Equipment und mein Gewehr war nach Maß von der Firma Walther, also nichts mehr mit Barhocker und abgesägtem Gewehr. Bei den Spielen in London war mein bisheriger Höhepunkt. Dort durfte ich als Sportler antreten. Durch mein Studium, welches ich bis dato mehr oder weniger nur nebenher laufen hatte, musste ich dann aber eine Entscheidung treffen. Weiter studieren oder dem Leistungssport nacheifern. Ich habe mich für mein Studium entschieden und mich aus der Nationalmannschaft zurückgezogen.

Lass uns über die Gegebenheiten im DSB sprechen. Sind die Voraussetzungen gut, um den Sport als Mensch mit Behinderung auszuüben?

Ja und Nein, also von beidem etwas. Zum einen muss ich sagen, ist es schön gewesen, dass man versucht hat, den Behindertensport des DBS mit dem des DSB zu verbinden, also einen Sport daraus zu machen. Das ist und wäre für mich die perfekte Inklusion. Ich bin auch ehrenamtlich im Vorstand  der Deutschen Behindertensportjugendtätig und das höchste Ziel sollte es sein, dass alle Fachverbände den Behindertensport bei sich vollwertig integrieren. Dann wäre der DBS nicht mehr nötig und hätte sein Ziel erfüllt. Leider lief es etwas anders. Es gibt nur noch eine Meisterschaft im Bereich des DSB auf den Deutschen Meisterschaften, was gut ist. Leider ist der Informationsstand für Sportler mit Behinderung verschwunden, welcher meiner Ansicht nach essentiell war. Und zudem wurde nach der Fusion keinerlei Wert auf eine Weiterführung der Ausarbeitung im Bereich Inklusion und Behindertensport gelegt. Hier waren wir vor ein paar Jahren schon weiter und haben definitiv Nachholbedarf. Das klingt vielleicht erst einmal sehr kritisch, aber wir haben immenses Potential im Bereich Behindertensport im Sportschießen. Ich behaupte, dass kein anderer  Sport einem Menschen mit Behinderung mehr bieten kann, als das Sportschießen. Früher hat die eigene Abteilung Sportschiessen des DBS an Unfallkrankenhäusern Menschen mit Behinderung eine Perspektive geboten, da müssen wir wieder hin. Menschen eine Perspektive bieten mit unserem gemeinsamen Hobby. Es ist ein Weg und auch wenn anfänglich einiges nicht optimal gelaufen ist, bin ich guter Dinge, dass wir es in den nächsten Jahren schaffen, den Behindertensport im DSB zu stärken.

Sport Wettkampf 1Was genau ist denn eigentlich der Unterschied zwischen Inklusion und Behindertensport?

Nun ja Behindertensport bedeutet, du bekommst als Mensch mit Behinderung beispielsweise im Wettkampf deine eigene Klasse. Es wird dir ermöglicht, deinen Sport mit Gleichgesinnten auszuüben. Inklusion geht hier noch einen Schritt weiter. Inklusion bedeutet, dass im Training oder Wettkampf nicht zwischen „gesunden“ Menschen und behinderten Menschen differenziert wird, sondern diese zusammen trainieren, lernen, erleben. Sprich alles gemeinsam machen.

Was ist es, was du unseren Lesern mit auf den Weg geben möchtest?

Die Möglichkeit der Ausübung des Sportschießens für Menschen mit Behinderung ist in mehr Vereinen gegeben, als wir ahnen. Viele Menschen machen es zu schnell an einzelnen Faktoren, wie beispielweise einer Behindertentoilette fest, ob der Sport auszuüben ist. Dabei braucht es letzten Endes erst einmal nur einen ebenerdigen Stand bzw. ein ebenerdiges Schützenhaus. Sollte das vorhanden sein, kann man die restlichen Hürden mit Kreativität, Einsatz und nach und nach kleineren Anpassungen gemeinsam schaffen. Geht nicht gibt es nicht!

Leo, vielen Dank für das ausführliche und unheimlich spannende Interview mit dir. Ich bin mir sicher, dass durch den Perspektivwechsel viele Vereine den Mut haben und sich mit dem Thema Behindertensport und Inklusion beschäftigen werden.

Danke dir, dass ich dir meine Geschichte erzählen durfte und ich hoffe bis bald auf der einen oder anderen Veranstaltung.

TEXT PS FOTOS LEO RUPP